Von wegen neuzeitlich: Wichtige Digitalisierungs-Meilensteine im Fahrzeugbau

Heutige Fahrzeuge – egal ob PKW oder LKW – stecken fraglos voller digitaler Bausteine, die unterschiedlichste Aufgaben erledigen. Ebenso war ihre gesamte Designphase von computerisierten Werkzeugen geprägt – ähnlich wie die Herstellung selbst. Wer deshalb jedoch glaubt, Digitalisierung im Fahrzeugbau sei ein „Ding der Gegenwart“, der liegt ziemlich falsch. Denn was die Ausstattung mit Elektronik und digitalen Systemen oder deren Nutzung anbelangt, zieht sich auch in der Fahrzeugwelt ein roter Faden sehr weit zurück in die Vergangenheit in eine Epoche, in der Transistoren gerade erst marktreif geworden waren.

Tatsächlich ist es deshalb sogar nötig, die ganze heutige Fahrzeugdigitalisierung in einem völlig anderen Licht zu betrachten. Dass wir heute überhaupt ganz kurz vor einer umfassenden Autonomisierung der Logistik stehen, von ferngesteuerten Drohnen-LKW und selbstfahrenden Vans und PKW nicht mehr nur träumen können, geht direkt auf diese lange Geschichte zurück.

Dabei sind die heute realistischen „autonomen Träume“ sogar nur ein Element von vielen. Denn ohne eine Menge Entwicklungsschritte wären moderne Fahrzeuge unter anderem deutlich schmutziger, wesentlich weniger leistungsstark und deutlich riskanter bei Unfällen.

Disclaimer: Wer sich nicht so umfassend mit der Funktion von Fahrzeugen, Motoren und den ganzen Systemen auskennt, der findet auf der Plattform kfztech detaillierte Erläuterungen zu allen relevanten Themen.

Am Anfang war ein zündender Funke

Elektrik begleitet das Automobil bereits seit seinen Frühtagen. Denn beim Ottomotor (= Benzinmotor) ist es grundsätzlich nötig, eine Hochspannung zu erzeugen, damit an der Spitze der Zündkerze ein elektrischer Funke entstehen kann, der das Kraftstoff-Luft-Gemisch zündet.

Für sehr lange Zeit nutze man dazu einen mechanischen Rotor samt Magneten. Durch seine Drehbewegung schloss er immer für kurze Zeit den Stromkreis zu einem bestimmten Zylinder. Bloß unterliegt dieses System (genannt Unterbrecherzündung) mechanischem Verschleiß, muss regelmäßig gewartet und justiert werden.

Nachdem verschiedene Entwickler schon seit den 1900ern experimentiert hatten, wurden im Verlauf der 1950er die ersten Zündanlagen serienreif, die einen Kondensator nutzten. Sie nutzen eine Kombination aus

  • Transformator,
  • Thyristor und
  • Kondensator.

Das damals wirklich revolutionäre Bauteil war der Thyristor – einfach gesprochen eine steuerbare Diode. Der wurde durch eine Elektronik angesteuert und löste dadurch die Entladung des Kondensators aus.

Dadurch war die Zündanlage auf einen Schlag ungleich robuster geworden. Gleichsam wurde die Zündleistung enorm erhöht, was Motoren unabhängig von der Drehzahl leistungsfähiger und sauberer machte. Ansonsten baugleiche Triebwerke erfuhren im Schnitt zehn Prozent Leistungssteigerung.

Durch die vollständige Abschaffung des rotierenden Verteilers, der auch hier weiterhin nötig war, entstand die vollelektronische Zündanlage. Bei ihr wird die Verteilung der Ströme für die verschiedenen Zylinder durch Elektronik sichergestellt. Sie ist seit Jahrzehnten Standard im Fahrzeugbau.

Bildschirm statt Papier

Die 1950er und 1960er waren grundsätzlich ein sehr wichtiges Jahrzehnt im Rahmen der Fahrzeug-Digitalisierung. Davon blieb nicht zuletzt der Design-Prozess unbeeinflusst. Noch bis weit in die späten 1950er (und bei vielen Firmen deutlich darüber hinaus) wurden Fahrzeuge und sämtliche ihrer Bauteile klassisch mit Papier und Stift designt – entsprechend aufwendig waren unter anderem Änderungen einzupflegen.

1964 jedoch wurde DAC-1 veröffentlicht – Design Augmented by Computer. Eine Software, die IBM seit 1959 speziell für den damals weltgrößten Fahrzeugbauer, General Motors, entwickelt hatte. Zusammen mit einem IBM 7090 Mainframe und neuentwickelten Grafikwerkzeugen wie einem Lichtstift wurde es dadurch möglich, Fahrzeuge direkt am Bildschirm zu designen. Nebenbei war DAC-1 ganz allgemein ein gigantischer Meilenstein für Computer-Aided Design.

Kollege Roboter

Wer sich ein bisschen mit dem Thema Robotik befasst, wird wahrscheinlich schnell festgestellt haben, welche Rolle hierbei der Bau von Autos schon sehr früh gespielt hat. Das liegt an einer simplen Tatsache: Vor allem auf die damalige Zeit bezogen gab es nur wenige andere Produkte, die gleichzeitig

  1. für einen so großen Massenmarkt konzipiert waren;
  2. aus so vielen einzelnen Teilen bestanden;
  3. mit einem damals schon seit Jahrzehnten ausgereiften Fließbandmodell gefertigt wurden.

Als in den 1950ern das Auto ein echtes Massengut wurde, führte das zu einer Situation, in der Fahrzeughersteller regelrechte Heerscharen von Fließbandarbeitern beschäftig mussten. Just das wurde jedoch vielerorts immer schwieriger. Etwa, weil gerade die sehr simplen Arbeiten als ziemlich unattraktiv galten.

Ab Anfang der 1960er setzten daher die ersten Autobauer frühe Industrieroboter ein. Einer davon, Unimate, wurde sogar schon über von einem einfachen Computersystem angesteuert und erreichte deshalb eine damals ungekannte Bewegungspräzision und Wiederholgenauigkeit.

Wurden diese Roboter in den ersten zirka 15 Jahren nur für besagte einfache Jobs wie das Schweißen an immergleichen Stellen oder das Bestücken und Entleeren von Formbaumaschinen genutzt, wurden sie durch steigende Rechnerleistungen immer vielfältiger einsetzbar. Heute ist es nicht nur theoretisch möglich, ein Fahrzeug gänzlich von Robotern zusammensetzen zu lassen.

Bosch macht die Einspritzung elektronisch

Wenn in Sachen Fahrzeugelektrik und -elektronik etwas entwickelt oder serienreif gemacht wurde, dann war das deutsche Unternehmen Bosch seit der Geburtsstunde des Automobils niemals weit entfernt. So auch bei der Art und Weise, wie Kraftstoff und Luft in den Motor gelangen.

Hier nutzte man bei Ottomotoren über Jahrzehnte den nur über Mechaniken gesteuerten Vergaser. Bei Dieseln und einigen Hochleistungs-Ottomotoren kamen alternativ mechanisch gesteuerte Einspritzanlagen zum Einsatz – zwei sehr unterschiedliche Systeme.

Das Problem an der Sache: Mechanische Einspritzung und Vergaser lassen sich nur sehr grob regeln. In Sachen Leistung, Verbrauch und Abgasemissionen sind derartige Fahrzeuge daher recht limitiert.

Das wurde im Verlauf der 1960er zum Problem, als Kraftstoffpreise stiegen und sich allmählich ein Bewusstsein für die zahlreichen negativen Effekte von Autoabgasen in der Bevölkerung verbreitete. In dieser Zeit entwickelte Bosch ein System, das später als D-Jetronic bekannt wurde. Die erste elektronisch geregelte Einspritzanlage für Ottomotoren – ab 1967 unter anderem bei VW verbaut.

Das System nutzte erstmals verschiedene Sensoren zur Bestimmung des Sauerstoffgehalts in der angesaugten Luft. Zusammen mit dem Input von weiteren Sensoren berechnete ein Steuergerät präzise die hinsichtlich von Drehzahl, Umgebungsdruck und Gaspedalstellung nötige Kraftstoffmenge – und ließ dementsprechend die Einspritzdüsen unterschiedlich lange geöffnet.

Noch war das Steuergerät ein analoger Computer. So blieb es auch beim 1973 lancierten Nachfolger K-Jetronic. Dieses System wurde jedoch ab 1982 zur KE-Jetronic erweitert und mit einem elektronisch-digitalen Steuergerät versehen. K- und KE-Jetronic waren deshalb so revolutionär und wichtig, weil sie es erstmals ermöglichten, den Restsauerstoff im Abgasstrom zu messen und diesen Wert mit in die Einspritzmenge einfließen zu lassen.

Einfach gesprochen: Dadurch wird der Kraftstoffverbrauch auf ein nötiges Minimum gesenkt und vor allem kann das Fahrzeug mit einem geregelten und dadurch sehr effektiven Katalysator ausgestattet werden.

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Ungleich sicherer dank Computer

Die Möglichkeit, Digitaltechnik für Fahrzeuge zu nutzen, war stets mit der aktuellen Leistungsfähigkeit von Hardware verknüpft. In den 1970ern kamen Fahrzeugingenieure allmählich an „menschliche Grenzen“, was das Verständnis und die Berechenbarkeit von Fahrzeugkomponenten hinsichtlich ihres Crash-Verhaltens und dementsprechend der Insassensicherheit betraf.

Autos hatten in dieser Zeit bereits einen gewaltigen Sprung zu mehr Sicherheit gemacht. Die Schwierigkeit bestand jedoch darin, aufgrund der immer komplexer werdenden Formen vieles nur durch „Trial and Error“ herausfinden zu können – langwierig und sehr kostspielig.

Diese Problematik hatten damals ebenso andere Ingenieure. Namentlich solche

  • in der Rüstung,
  • bei Atomkraftwerken,
  • in der Raumfahrt und
  • im Flugzeugbau.

Überall konnte man nur unzureichend berechnen und musste dann durch destruktive Crash-Tests herausfinden, ob man richtig lag. Gerade dort, wo aufgrund der systemischen Komplexität immer nur einzelne Bauteile getestet werden konnten, barg das immense Risiken dafür, dass das Gesamtsystem sich in der Praxis nicht so verhielt wie die Einzelteile.

1978 legten die ESI-Gruppe und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) die ersten Grundlagen dafür, Fahrzeug-Crash-Tests am Computer zu simulieren. Vorangegangen war eine Präsentation über die Simulation eines Düsenjägers, der in ein Atomkraftwerk stürzte.

In den Folgejahren bestimmte die fortschreitende Leistungsfähigkeit von Computern, wie komplex sich etwas simulieren ließ. 1986 war es jedoch so weit: Die Forschungsgemeinschaft Automobil-Technik (FAT), ein Zusammenschluss mehrerer deutscher Autohersteller, konnte erstmals einen Frontalzusammenstoß einer kompletten PKW-Fahrgastzelle simulieren und dabei exakt die auftretenden Kräfte berechnen – nicht weniger als eine absolute Revolution.

Seit damals haben Simulationen immer größeren Einfluss im Fahrzeugdesign bekommen. Mittlerweile werden „echte“ Crash-Tests tatsächlich nur noch zur abschließenden Überprüfung benötigt.

Zusammengefasst

Die Digitalisierung von Fahrzeugen, ihrer Fertigung und dem Design, mag heute zweifellos auf einem Gipfel stehen. Allerdings ist das – wie so oft – nur das Endergebnis eines sehr langen Prozesses voller Highlights. Die Fahrzeugdigitalisierung begann beileibe nicht erst, als Mitte der 1980er die ersten PKW mit Bus-Vernetzung in die Showrooms rollten.

Tatsächlich startete sie schon, als hierzulande der Käfer das mit Abstand meistverkaufte Auto war, der Trabant 601 aufgrund seiner modernen Formgebung gefeiert wurde und die einzigen Halbleiter-Bauteile eines Haushalts sich im Radio befanden.


Bild: stock.adobe.com © V. Yakobchuk

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